Von der Theater AG nach Hollywood (Aachener Zeitung)
11. Jul 2024 |
Tom Keune
Tom Keune ist Schauspieler, hat am Theater gespielt, man sieht ihn regelmäßig im Fernsehen (Eifelpraxis) und mittlerweile spielt er auch immer wieder Rollen auf der großen Leinwand. Geboren wurde er in Aachen, aufgewachsen ist er in Stolberg. Mittlerweile lebt er in Berlin und hat seinen ersten Hollywood-Film abgedreht. Tom Keune im Interview mit Najoua Taleb.
Herr Keune, nehmen Sie uns einmal mit in Ihre Kindheit, in das Stolberg und die Region der 1980er Jahre. Wie sind Sie aufgewachsen?
Tom Keune: Ich bin in Aachen geboren, zunächst lebten wir dann in Brand. Daran kann ich mich aber gar nicht erinnern. Ich war noch sehr klein, da sind wir nach Büsbach gezogen. Da habe ich dann die ersten sechs Jahre gelebt. Kurz vor meiner Einschulung sind wir dann ins Gedautal gezogen, das zwischen Brand und Stolberg in einer schönen Talkuhle liegt. Da hatte ich eine sehr schöne Kindheit in der Natur, direkt am Wald. Später habe ich mich dann gefreut, als ich meinen Führerschein hatte, weil das ja doch alles ein bisschen weg von Stolberg und der Aachener Innenstadt liegt.
Was haben Sie denn hier an der Region als Kind besonders zu schätzen gewusst, an was erinnern Sie sich heute gerne zurück? Was vermissen Sie in Berlin, wo Sie ja mittlerweile leben?
Keune: Ich weiß gar nicht, ob ich heutzutage etwas vermisse. Als Kind schätzt man ja andere Dinge als später als Erwachsener. Damals war es natürlich ein Luxus einfach rausgehen zu können, ohne auf Autos achten zu müssen, den Wald und die Katzensteine vor der Haustüre zu haben. Berlin hat heute für mich andere Vorzüge. Aber neben der Urbanität, der Diversität und dem Trubel gibt es auch hier viel Natur.
Wie sind Sie denn zur Schauspielerei gekommen?
Keune: Manche behaupten ja, dass sie schon vor der Geburt wussten, dass sie Schauspieler werden. So war es bei mir nicht. Es hat dann doch bis zur zehnten, elften Klasse gedauert. Freunde von mir waren in der Theater-AG vom Ritzefeld-Gymnasium und haben mich mitgenommen. Und ganz schnell wusste ich, dass ich das beruflich machen möchte.
Was fasziniert Sie daran, in verschiedene Rollen zu schlüpfen? Wie bereiten Sie sich auf Ihre Rollen vor?
Keune: Das hat sich über die Jahre gewandelt. Was mich fasziniert ist, die Dinge, die meine Rollen tun, ihre Beweggründe, in mir selbst wiederzufinden. Ich will ihre Motivationen erforschen und verstehen, warum sie sind wie sie sind und warum sie handeln wie sie handeln. Ich möchte die Emotionen meiner Rollen nachvollziehen können. Und vor allem fasziniert es mich, bei fast allen Rollen, es dem Publikum schwer zu machen, meine Charaktere zu verurteilen. Meine Aufgabe ist es, die Figur zu schützen und ihre Perspektive zu vermitteln.
Gleich nach Ihrer Schauspielausbildung hatten Sie mehrere Rollen an verschiedenen Theatern. Wie war diese Zeit? Was bedeutete es Ihnen, auf der Bühne zu stehen?
Keune: Auf der Bühne zu stehen, bedeutete mir mal alles. Ich habe damals nie daran gedacht, mal vor der Kamera zu spielen, das Theater war für mich magisch und ich wollte immer auf die Bühne. Das war eine tolle und inspirierende Zeit. Während meiner Ausbildung war ich oft am Hamburger Schauspielhaus unter der Leitung des Intendanten Frank Baumbauer. Das war unglaublich, da er alle relevanten Strömungen seiner Zeit in seinem Haus versammelte. Wenn man zu dieser Zeit dahingegangen ist, konnte man sehen, was an Theatern möglich ist. Bei mir lief es dagegen ein bisschen anders. An den Bühnen, wo ich war, war vieles nicht möglich. Ich war viel in der Provinz unterwegs, aber das, was ich eigentlich machen wollte, habe ich nie gemacht. Das war dann auch der Punkt, warum ich gesagt habe, wenn ich mit den Leuten, die ich am Theater bewundere, nicht am Theater zusammenarbeiten kann, dann mache ich es halt beim Film.
Der größte Unterschied zwischen dem Theater und Film und Fernsehen ist das direkte Feedback der Menschen beim Spielen: Fehlt Ihnen das, wenn Sie vor der Kamera stehen?
Keune: Wenn ich ehrlich bin, fehlt mir das direkte Feedback nicht. Ich war in Regionen unterwegs, unter anderem im Vogtland, wo ich sagen muss, dass ich mit dem Publikum nicht richtig warm geworden bin. Es gab dort damals schon massive rechte Strömungen. Plauen war die erste Stadt, wo „Der Dritte Weg“ im Parlament war. Ich will jetzt nicht sagen, dass das Publikum am Theater davon durchseucht war, aber ich muss schon sagen, dass es einen Konservatismus gefordert hat, den ich nicht bedienen wollte. Und wofür es dann Applaus gab, das brauchte ich dann auch nicht.
2004 hatten Sie Ihren ersten Auftritt im Fernsehen: Wie ist es dazu gekommen?
Keune: Die Gagen-Struktur an den Theatern ändert sich gerade sehr. Es gibt das ensemble-netzwerk und Verdi, die sich sehr dafür einsetzen, dass junge Schauspielende vernünftiger entlohnt werden. Bei mir war das damals nicht der Fall, ich habe wirklich wenig verdient, am Monatsende blieb eigentlich nichts übrig. Großen Fernsehproduktionen konnte ich auch nicht nachgehen, denn bei den Theater-Engagements war man schon stark eingebunden. Die Idee war, dass ich ja vielleicht die ein oder andere Werbung machen kann, daher habe ich mich bei einer Schauspiel-Agentur angemeldet. Die hat aber auch kleinere Rollen im Fernsehen vermittelt und so durfte ich dann mal mein Gesicht für eine Szene als Polizist in die Kamera halten und einen Satz sprechen.
So richtig angekommen in der Welt von Film und Fernsehen sind Sie dann 2012, seitdem sieht man Sie regelmäßig in verschiedenen Produktionen zu sehen. Viele kennen Sie aus der „Eifelpraxis“. In einem Interview sagten Sie: „Das Dorf kriegt man nie raus. Das prägt einen, und das trägt man mit sich, auch wenn man später in einer Großstadt lebt und dort täglich ganz andere Einflüsse erlebt.“ War das mit ein Grund, die Rolle des Monschauer Polizisten zu übernehmen?
Keune: Nein, das war eigentlich kein Grund. Mich interessieren Charaktere aus der Provinz. Offene Großstädter, die mit allem d‘accord und vermeintlich tolerant sind, interessieren mich hingegen bei meiner Rollenauswahl nicht wirklich. Als ich damals nach Berlin gekommen bin, habe ich gemerkt, dass ich einen anderen Horizont hatte. In meiner Jugend sind mir in Stolberg und Aachen nicht so viele verschiedene Kulturen begegnet und ich habe es genossen, mich dahingehend weiterzuentwickeln. Daher interessieren mich Charaktere, die gewisse Glaubenssätze haben, die dann erschüttert werden. Ich möchte mich mit Personen beschäftigen, die über ihren Schatten springen und Herausforderungen bewältigen müssen.
Wie kommt man an solche Rollen? Gibt es das klassische Vorsprechen? Oder werden Sie auch einfach besetzt?
Keune: Es lief immer schon über eine Agentur. Ich habe aber auch schon proaktiv Besetzern geschrieben, gerade in der Anfangszeit häufiger. Bei wirklich großen Rollen gibt es fast immer noch ein Casting. Alle großen Schauspieler gehen nach wie vor immer noch oft zu Castings, weil es auch darum geht, eine Vorstellung der Rolle zu transportieren, und wie man in einer Konstellation funktioniert. Castings sind daher gang und gäbe, allerdings nicht so sehr wie in Amerika, dort wird alles nur über Castings besetzt, da spielt das Showreel keine große Rolle. In Deutschland hingegen ist die Showreel-Kultur groß, es werden viele Dinge über das Demoband besetzt, da muss man nicht so häufig zu Castings, gerade wenn es um Episodenrollen geht, da wird wenig gecastet, bei großen Rollen aber so gut wie immer.
Im Februar 2021 haben Sie sich im Rahmen der Initiative #actout im SZ-Magazin mit 185 anderen lesbischen, schwulen, bisexuellen, queeren, nicht-binären und trans Schauspielern geoutet, um in Ihrer Branche und in der Gesellschaft weiter Akzeptanz zu schaffen. Das ist nun über drei Jahre her: Wie nachhaltig war die Aktion?
Keune: In erster Linie ist die Aktion für mich sehr nachhaltig, weil ich dadurch gemerkt habe, dass es für das Gegenüber relativ sexy ist, eine Haltung zu haben. Was ich daraus gelernt habe, ist, dass es einem egal ist, ob man besetzt wird oder nicht. Man hat gewisse Dinge, die man auch erfüllt haben möchte. Diese Haltung fällt auf fruchtbaren Boden, weil es dann in einen Austausch geht. Ich muss halt schon das Gefühl haben, dass die Leute, die Themen wie Rassismus oder Homophobie behandeln, sich damit auch wirklich auskennen und Ahnung haben von dem, was sie filmen möchten und nicht nur irgendwelche Narrative reproduzieren. Das ist aber, wie ich finde, gerade total im Wandel, dass die Redaktionen, Sender und Produktionen wirklich Lust darauf haben, sich mit diversen Themen auseinanderzusetzen. Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass der Wind wieder rauer wird in unserer Gesellschaft. 2021 war in meinen Augen offener als jetzt 2024. Vor allem in Bezug auf Leute, die sich als Trans oder Non-binär identifizieren oder was Ausländerfeindlichkeit betrifft. Es gibt so eine Schere in der Gesellschaft, die auf der einen Seite toleranter wird, auf der anderen Seite geht es in die genau umgekehrte Richtung. Diese Schere geht gerade stark auseinander und das finde ich sehr gefährlich.
Kommen wir noch einmal auf Ihre Filmkarriere zurück: Bald kommt „Nuremberg“ von James Vanderbilt in die Kinos. An der Seite von Rami Malek, Michael Shannon und Russell Crowe werden auch Sie zu sehen sein. Es ist Ihre erste internationale Produktion. Was war das für eine Erfahrung?
Keune: Das war eine irre Erfahrung. Michael Shannon habe ich nicht persönlich kennengelernt, aber Rami Malek und Russell Crowe schon, mit ihnen hatte ich gemeinsame Szenen – die meisten mit Rami Malek. Ich glaube, es war ganz gut, dass ich beim Casting überhaupt nicht überrissen habe, was das für ein Film ist. Denn oft ist es so, dass es eine inflationäre Verfilmung von Nazi-Themen gibt, wo ich denke, nein, so möchte ich das gar nicht spielen. Es gab zum Beispiel eine Casting-Szene für einen Film, den ich nicht gemacht habe. Da ging es um einen Nazi-Funktionär, der ein Mädchen für sich tanzen lassen möchte und das Mädchen sagt dann, sie könne für ihn singen. Dann singt sie für ihn und er ist so gerührt, dass er anfängt zu weinen. Da dachte ich, ich möchte keinen Nazi zeigen, der erreichbar ist in dem Sinne. Ich möchte nicht, dass der Zuschauer das Gefühl hat, ach guck, der ist ja doch ein Mensch.
In dem Film spielen Sie Robert Ley, ehemaliger Reichsleiter der NSDAP und einer der Hauptangeklagten in den Nürnberger Prozessen. Wie war es, diese Rolle zu spielen?
Keune: Im Fall „Nuremberg“ habe ich gedacht, dass das so ein krasser Typ ist, und ich möchte ihn in seiner Dogmatik zeigen. Deshalb hat mich das auch so interessiert, weil es eine literarische Verfilmung ist. Es gibt das Buch „Der Nazi und der Psychiater“ von Jack El-Hai und da geht es darum, dass ein Psychiater namens Kelley diese Delinquenten für die Nürnberger Prozesse vorbereitet und guckt, ob sie vernehmungsfähig sind und sich ihre Psyche anguckt. Das fand ich wahnsinnig spannend. Kelley wird von Rami Malek gespielt, somit hatte ich in meiner Rolle als Robert Ley viele Berührungspunkte mit ihm und ich muss sagen, es ist so angenehm mit einem Menschen zu arbeiten, dem es nur um den Film geht, der frei von Eitelkeiten ist, der keine Starallüren hat, sondern der wirklich auf den Punkt super vorbereitet am Set ist.
Wie sind Sie an die Rolle gekommen?
Keune: Es gab drei Caster, einmal der US-amerikanische, der hat unter anderem auch Oppenheimer gecastet. Dann gab es eine Casterin in London, die hat die englischen Darsteller gecastet und dann gab es noch eine Casterin in Deutschland, die für die deutschen Rollen verantwortlich war. Ich wurde gefragt, ob ich Lust hätte, eine Art Self-Tape aufzunehmen. Gerade bei internationalen Produktionen ist das häufiger so, dass man sich selbst aufnimmt und das hinschickt. Oft vergisst man das nach dem Verschicken wieder, weil es meist nicht klappt, in dem Fall kam aber die Antwort, dass ich mich vorstellen kann. Dann habe ich ein zweites Casting gehabt, das war ein Live-Zoom-Casting mit Produktion und Regie. Und es hat geklappt. Das war unglaublich. So richtig begriffen, habe ich es erst bei der Vorbereitung und dem ersten Drehtag.
Werden wir Sie also zukünftig häufiger in Hollywood-Produktionen sehen?
Keune: Das ist so ein Ding, das mache ich in meinem Kopf gar nicht auf, weil das nichts bringt. Es ist eine super Erfahrung und die nehme ich jetzt mit. Was auch immer daraus entsteht, ist Zukunftsmusik. Wenn man sich jetzt darüber Gedanken macht, was daraus werden könnte, ist man nie im Moment. Ich bin froh, dass ich dabei sein konnte und ich gehe davon aus, dass das eine einmalige Erfahrung ist, die ich sehr genieße. Man weiß ja auch nie, ob man dabeibleibt, oder rausgeschnitten wird, das passiert ja auch oft.
Wann soll der Film starten?
Keune: Mal gucken, wir haben den Film erst vor Kurzem abgedreht. Jetzt muss erstmal geschaut werden, welcher Verleih gefunden wird und wann der ideale Startzeitpunkt ist. Ich hoffe natürlich, dass der Film 2025 kommt. Wenn sie ganz schnell sind, wird es vielleicht sogar 2024, davon gehe ich aber eher nicht aus.
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